Active Noise Cancelling nennt sich eine Technologie, die absolute Stille verspricht. Und perfekten, ungetrübten Klang beim Musik hören. Im Flieger trotz Turbinenlärms. In vollen Zügen. Oder im lauten Großraumbüro. So funktioniert’s!
Lärm ist überall. Und er macht je nach Häufigkeit und Intensität am Ende krank. Im Gegensatz zu den Augen lassen sich Ohren nicht ohne Hilfsmittel verschließen. Selbst im Schlaf nehmen sie alle Außengeräusche ungefiltert wahr. Ein Schutzmechanismus der Natur, der das Überleben in der rauen Natur sichern sollte – sich in der modernen Zivilisation aber inzwischen überlebt hat. Im Bett will man vor allem seine Ruhe haben. Das hat schon vor über 100 Jahren das deutsche Familienunternehmen Ohropax erkannt und bietet seit-her passive Geräuschunterdrückung in Form diverser Stöpsel aus Wachs, Silikon, Schafswolle oder Schaumstoff an. Preis-wert, ressourcenschonend und vor allem ohne Stromanschluss. Wer es gerne technischer, effektiver und noch leiser mag, der wird erstaunt sein, wie gut inzwischen ein Verfahren funktioniert, das sich Active Noise Cancelling bzw. Active Noise Control (ANC) nennt.
Die bereits vor über 80 Jahren in den USA ersonnene Technologie ist inzwischen so komplex und trickreich, dass nur noch Elektroingenieure wirklich durch-blicken. Zum Einsatz kommen Mikrofone, Sensoren, Verstärker, Digitale Signalprozessoren (DSP), Digital/Analog-Konverter (DAC), Verstärker und Lautsprecher-membranen. Vereinfacht gesagt, erzeugt Active Noise Cancelling eine Art Gegenschall, der Ge-räusche für das Ohr quasi auslöscht. Sie sind damit unhörbar. Vom technischen Standpunkt aus gesehen wird eine Schallwelle mit gleicher Amplitude ausgegeben, deren Phase mit 180 Grad zur Original-Schallwelle invertiert ist. Das nennen Experten „Anti-Phase“ bzw. destruktiv Interferenz. Da die Erzeugung der Antiphase ein komplexer Vorgang ist, bei Frequenzen von 30 bis 250 Hertz, und im Mikrosekundenbereich stattfindet, sind u.a. superschnelle DSP- und DAC-Prozessoren notwendig. Diese kümmern sich darum, die über Mikrofone eingehenden analogen Schallwellen zu digitalisieren, den Gegenschall zu berechnen, und das ganze wieder analog über Lautsprecher auszugeben. Am menschlichen Trommelfell kommen dann sowohl der Schall von außen als auch das künstlich erzeugte Signal gleichzeitig an.
Der negative Druck aufs Trommelfell
Das Ergebnis verblüfft. Wer sich einen guten ANC-Kopfhörer wie den aktuellen Sony WH-1000X M3 aufsetzt, und das Verfahren – ganz ohne Musik – in einem ohnehin vermeintlich ruhigen Raum ausprobiert, merkt neben der völligen Stille einen quasi negativen Druck auf dem Trommelfell. Erst dann wird schlagartig klar, wie groß der Lärm tatsächlich ist, an den wir uns längst gewöhnt haben, und der uns ständig um-gibt. Bei laufender Musik werden störende Geräuscheinflüsse von außerhalb erheblich reduziert. Der seit 2014 zum US-Konzern Apple gehörende Kopfhörerspezialist Beats geht mit „Pure ANC” noch darüber hinaus. Das Verfahren berücksichtigt selbst den Sitz der Kopfhörer auf dem Kopf und passt die Geräuschunterdrückung je nach Veränderungen durch Haare, Brillen, unterschiedliche Ohr-formen und Kopfbewegungen an. Das soll für noch ungetrübteren Hörgenuss, auch beim Sport, sorgen, weil negative Einflüsse auf den Sound weitgehend eliminiert werden. Der Nachteil von ANC: Im Gegensatz zu Ohropax, und dem passiven Filtern von Umgebungsgeräuschen durch anpassbare Ohreinsätze und Polsterung der Ohrmuscheln, braucht die Technik Strom. Und zwar nicht zu knapp.
Nachteil: ANC eignet sich nur für tiefe, gleichmäßige Frequenzen.
Dank der in den letzten Jahren stark verbesserten Akkutechnologie ist das zwar kein Problem mehr, dennoch halten die aktuell besten Kopfhörer dieser Gattung maximal zwischen 15 und 30 Stunden durch. Und es gibt noch einen Nachteil: Active Noise Cancelling eignet sich nur für eher gleichmäßige, tieffrequente Geräuschkulissen wie Turbinenlärm. Bei hohen Frequenzen stößt das Verfahren an seine Grenzen, weil dann auf der Kopfhörer-oberfläche viele unterschiedliche Phasen-lagen, abhängig von der Einfallsrichtung des Schalls, auftreten, die sich nicht so schnell und effektiv ausgleichen lassen. Das versuchen die Hersteller mit dafür geeigneten Dämpfungsmaterialien an der Ohrmuschel passiv zu umgehen. Das ist übrigens der Grund, weshalb ANC mit Über-Ohr-Hörern erheblich besser funktioniert als mit In-Ear-Modellen, die prinzipbedingt über weniger Dämpfung verfügen. Ein letzter, aber sehr mächtiger Spielverderber auf dem Weg zum perfekten Musikgenuss oder zur völligen Stille inmitten des Lärm-Tsunamis, ist der sogenannte Knochenschall. Denn nicht nur die Ohren, sondern auch der Schädelknochen selbst überträgt Schallwellen, die von uns wahrgenommen werden und sich von ANC-Verfahren nicht unterdrücken las-sen. Noch nicht einmal vom guten, alten Ohropax.
Wer hat’s erfunden?
Glaubt man dem Online-Lexikon Wikipedia, wurde das weltweit erste Patent zur aktiven Geräuschunterdrückung des Erfinders Paul Lueg bereits 1936 in den USA eingereicht (Patent 2.043.416). Darin wird die prinzipielle Funktionsweise beschrieben. 14 Jahre später folgten dann mehrere Patente von Lawrence J. Fogel, der beschrieb, wie sich störende Geräusche in Cockpits von Helikoptern und Flugzeugen vermeiden lassen. 1957 erfand Willard Meeker den Vorläufer sämtlicher ANC-Kopfhörer von heute. Ein noch sehr rudimentäres Teil. Das wurde 1986 vom Hersteller Bose verfeinert und werbewirksam auf einem Nonstop-Flug um die Welt mit dem Leichtbauflugzeug „Rutan Model 76 Voyager“ eingesetzt. Es sollte aber trotzdem noch mehr als 30 Jahre dauern, bis sich die Technologie dank modernster, stromsparender Prozessoren und Akkutechnologie auf breiter Front durchsetzen konnte.