Facebook heißt jetzt Meta. Mit Meta verspricht uns Marc Zuckerberg den Aufbruch in neue Welten – in das Metaverse. Dazu investiert der High-Tech-Gigant Milliarden. Steht uns eine neue industrielle Revolution bevor?
Doch was ist das Metaverse? Welchen Nutzen soll es bringen, und vor allem wem? Eine exakte Definition ist schwierig, da es bisher noch nicht existiert. Für Zuckerberg, und nicht nur für ihn, aber ist es das „next big thing“. Also nichts weniger als das Ziel, das Internet neu zu erfinden. Im Internet befinden sich unzählige Social Media Plattformen und Kanäle abgegrenzt nebeneinander, die von jeweils verschiedenen Anbietern kontrolliert werden. Im Metaverse soll es diese Grenzen nicht mehr geben, eine allumfassende Interaktion möglich werden. Hier gehört der User einer grenzenlosen virtuellen Welt an, die zu einem Teil unserer Lebenswirklichkeit wird. Netz und Mensch verschmelzen partiell. Spiele wie Fortnite geben uns einen Vorgeschmack auf diese Form der Verschmelzung.
Bei Fortnite können Gamer als Avatare bereits Konzerte und Filmpremieren erleben. Sie besuchen also mit ihren Mitspielern ein Konzert innerhalb der Fortnite-Welt, anstatt dieses alleine z.B über einen Youtube-Kanal zu schauen. Auf diesem Weg generiert Fortnite Zuschauerzahlen in Millionenhöhe. Von dem Social-Media-Trend wollen andere Unternehmen ebenfalls profitieren, immer mehr Personen binden, und möglichst viel über sie erfahren.
Das ganz große Geschäft
Die Idee, so tief wie nie zuvor in die Lebenswelt der User vorzudringen, regt die Fantasie der Entwickler und Unternehmen weltweit an, natürlich auch finanziell. Kein Wunder, dass neben Meta auch Giganten wie Microsoft, Samsung oder gar Nike massiv in das Metaverse investieren. An den Börsen wird bekanntlich die Zukunft gehandelt, und dort ist das Metaverse schon Realität. Anleger können in diverse Geldanlagen rund um das Metaverse investieren. Das lohnt sich: Elf Milliarden Tage verbrachten US-Bürger 2021 auf Social Media und gaben dort pro Stunde im Schnitt neun Cent aus. Welch ein Potenzial hätte dann erst eine Form des Internets, in dem alle Social-Media-Plattformen vereint sind? Die Luxusgüter-Industrie peilt jetzt schon einen Umsatz von 25 Milliarden Dollar bis 2030 an. Doch wie können wir uns das Metaverse vorstellen?
Schöne neue Welt
Es könnte tatsächlich ein Raum der nahezu unbegrenzten Möglichkeiten entstehen. Sehen wir es zuerst von der praktischen Seite, die uns den Arbeitsalltag auch in Post-Corona-Zeiten erheblich vereinfachen kann. Team-Meetings aus dem Home-Office finden nicht mehr vor dem Flatscreen statt, auf dem wir die Teilnehmer nur als Kacheln sehen. Stattdessen tragen wir eine Virtual Reality-Brille (VR) und betreten über unser Avatar einen virtuellen, dreidimensionalen Raum. Dort können wir als Hologramm mit den anderen Personen interagieren. Also wir bewegen uns, können sprechen und auch gestikulieren. Es entwickelt sich eine Form der Kommunikation, die wesentlich näher an der realen Welt ist als bisher. Auch könnte der digitale Konferenzraum das Abbild des Raums sein, in dem sonst die Meetings real stattfinden. Oder wir gestalten das virtuelle Konferenzzimmer nach eigenen Vorstellungen – Work-Life-Balance auf einem neuen Niveau. Präsentationen werden dann auf einem Bildschirm oder Flipchart in diesem Raum gezeigt. In der Kaffeepause können Sie einfach den Raum verlassen und beispielsweise in den virtuellen Samsung- oder Nike-Store laufen. Oder Sie shoppen im virtuellen Supermarkt Ihre Lebensmittel fürs Abendessen.
Über Ihr Avatar greifen Sie in die Lebensmittelregale und sehen sich die einzelnen Waren an, legen sie in den digitalen Einkaufswagen oder stellen sie wieder zurück. Sie bestellen Ihre Bio-Produkte an der Frischetheke und unterhalten sich mit der holografischen Verkäuferin. Fast wie in der wirklichen Welt. Zu Ende geshoppt? Den Kaufen-Button drücken und die Ware wird real geliefert. Wer will schon bei Wind und Wetter zum Supermarkt, wenn der Besuch im Metaverse das gleiche Einkaufserlebnis verspricht? Walmart in den USA arbeitet tatsächlich bereits daran. So weit, so praktisch. Am Ende halten wir die Ware physisch in den Händen. Doch das Metaverse will viel mehr sein, es möchte eine dreidimensionale Parallelwelt zur realen Wirklichkeit werden. Ein Universum, in dem jeder Mensch jederzeit andere Menschen treffen kann. Über sein Hologramm kann man die Person sein, die man möchte und tun, was man möchte. Je menschlicher der Avatar, umso menschlicher die Bedürfnisse, die in der Parallelwelt befriedigt werden wollen.
Meine neuen virtuellen Sneaker
Das neue Adidas-Shirt, coole Nike-Sneaker – wir können unseren Avatar mit allen erdenklichen Accessoires ausstatten und uns dann anderen präsentieren. Individualität und Style zählen auch im Netz. Gezahlt wird mit Kryptowährung – nur dass wir diesmal das Produkt am Ende nicht physisch in Händen halten, sondern allein in der virtuellen Parallelwelt. Das wird viele nicht daran hindern, sich in dieser neuen Welt einzurichten. Dazu zählen natürlich auch ein Haus, ein Grundstück, ein Raum zum Wohlfühlen. Rückzugsort oder Märchenschloss – der Gestaltung sind keine Grenzen gesetzt – außer vielleicht finanzielle.
Apropos Raum. Virtuelle Grundstücke werden auf Plattformen wie Decentraland bereits zum Kauf angeboten. Und der digitale Immobilienmarkt boomt. Dort ist es inzwischen problemlos möglich „Grundstücke“ für hunderttausende Euro zu kaufen. Und tatsächlich steigen die erworbenen Grundstücke im Wert. Um es besonders angenehm zu haben, bestückt man dann sein Heim mit Möbeln und schönen Gemälden – Unikaten natürlich. Auch das funktionier schon heute, mit sogenannten NFTs. Niemand sonst kann dann beispielsweise benannte Gemälde in seinem Zimmer aufhängen. Und ist man sich eines Gemäldes irgendwann überdrüssig, versteigert man es einfach. Selbst das ist aktuell schon möglich. Noch sehen die Gebilde nach Computeranimation aus, doch ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nötige Rechenleistung vorhanden ist, um realitätsnahe Welten zu erschaffen.
Große Freiheit oder fataler Weg?
Das alles geht meilenweit über die aktuellen Möglichkeiten in Spielen hinaus. Wir werden in der virtuellen Welt nahezu all das tun können, was wir in der Wirklichkeit auch tun. Freunde treffen, gemeinsam shoppen, eine Party geben, zusammen Musik hören oder einen Film schauen. Kein Problem im Metaverse. Reale und virtuelle Welt gehen so tiefgreifend ineinander über wie nie zuvor. Das klingt schön. Doch je stärker beide Welten verschmelzen, desto größer werden auch die Gefahren.
Metaverse: Die Zukunft im Netz – Forever Young
Schon jetzt ist Internetsucht, insbesondere unter Jugendlichen, ein ernstes Thema. Das Metaverse wäre eine ungleich größere Versuchung, kann es uns doch eine Welt vorgaukeln, eine Zuflucht – bis hin zum Jungbrunnen. Ein Hologramm altert schließlich nicht. Und welche Person steckt wirklich hinter einem Avatar? Schließlich gibt es die dunklen Seiten des menschlichen Daseins, Kriminalität, Gewalt. Vieles davon findet heute im Darknet statt. Das Darknet wird sich sicher einen Weg ins Metaverse bahnen. Können uns dann fremde Hologramme attackieren, in unseren Raum eindringen und via Hack von uns gekaufte NFTs stehlen? Schützt uns ein digitales Police Department? Wie werden wir in einer Welt ohne fest definierte Regeln miteinander umgehen? Wird sich unser Verhalten, unser Charakter dadurch in der realen Welt ändern? Verlieren wir den Bezug zur Wirklichkeit und veröden sozial? Viele Fragen werden noch lange offen bleiben. Jetzt schon bekannt ist, dass sich neben unserer Psyche auch unsere Physis verändert. Wir nehmen zu, Muskeln degenerieren, die Wirbelsäule kann sich verkrümmen, wenn wir uns zig Stunden pro Tag nicht bewegen.
Auch das lange Tragen einer VR-Brille bringt Probleme mit sich. Eine aktuelle Studie aus Großbritannien zeigt, dass die Zahl an Unfällen durch das Tragen von VR-Brillen in die Höhe schießt. Die verursachten Schäden, meist zerstörte TVs und Einrichtungsgegenstände, liegen bei durchschnittlich 800 Pfund pro Fall. Bis wir wirklich in das Metaverse eintauchen können, die Animationen völlig natürlich wirken und Mundbewegungen perfekt synchron laufen, werden noch Jahre vergehen. Zu gering sind derzeit die notwendigen Rechenleistungen, der Einsatz künstlicher Intelligenz und die Verfügbarkeit von 5G, von der nötigen Energie ganz zu schweigen. Auch wird nicht jeder stundenlang eine vergleichsweise unbequeme VR-Brille tragen wollen. Doch das sind technische Probleme, die gelöst werden. Irgendwann wird die VR-Funktion mit einer normalen Brille möglich sein, oder gar in eine Linse integriert werden. Eines Tages wird es Quantenrechner geben. Spätestens dann wird das Metaverse wohl so real, wie unsere wirkliche Welt. Das könnte zur größten gesellschaftlichen Veränderung nach der industriellen Revolution führen. Die Milliarden dafür stehen jedenfalls schon parat.