KI erobert unseren Alltag im Sturm. Die einen sehen darin den technologischen Durchbruch des Jahrhunderts, andere warnen vor den Risiken. Zeit für eine Bestandsaufnahme zwischen Euphorie und Skepsis – und der Frage: Künstliche Intelligenz – KI Fluch und Segen?
KI-Werkzeuge verändern zusehends unsere Arbeitswelt. „Wir sind alle mehr oder weniger zu technologischen Hybriden geworden“, erklärt KI-Experte Dr. Reinhard Kreissl im Interview, Gründer und Direktor des Vienna Centre for Societal Security (VICESSE). In seiner Arbeit fokussiert er sich auf die Analyse der Chancen und Risiken von KI im Kontext von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. „Wenn mir früh das Internet zusammenbricht, bin ich quasi amputiert und kann nichts mehr machen“, erklärt Kreissl. Diese digitale Abhängigkeit zeigt sich besonders im Arbeitsalltag: Wo früher Menschen Texte verfassten, Bilder bearbeiteten oder Code programmierten, unterstützen heute KI-Systeme.
Die digitalen Alleskönner und ihre Auswirkungen
Große Sprachmodelle wie „ChatGPT“, „Claude“ oder „Gemini“ prägen die aktuelle KI-Generation. „Es gibt so etwas wie eine Verarmung an wesentlichen soziokulturellen Fähigkeiten“, warnt Kreissl. „Wenn Sie heute etwas kochen wollen, dann gucken Sie im Internet: Wie mache ich eine Kartoffelsuppe?“ Diese Entwicklung spiegelt sich in allen Lebensbereichen wider: Von der automatischen Übersetzung bis zur KI-gestützten Medizindiagnostik – intelligente Systeme übernehmen zunehmend Aufgaben, die bisher Menschen vorbehalten waren.
Der Philosoph Richard David Precht gibt im Interview mit den VDI Nachrichten zu bedenken: „Die Aufgabe besteht darin, dass Menschen nicht zu Handlangern moderner Technologien werden.“ Gleichzeitig eröffnen sich neue Möglichkeiten: Das Kölner Start-up Deepl revolutioniert etwa mit seiner KI die Übersetzungsbranche, während das Berliner Unternehmen Ada Health einen KI-gestützten Gesundheitsassistenten entwickelt hat, der bereits von Millionen Menschen weltweit genutzt wird.
Jobwandel statt Jobverlust?
Die Sorge vor Massenarbeitslosigkeit durch KI bewegt viele Menschen. „Ich trauere nicht um Jobs, die in einem Callcenter durch einen Chatbot ersetzt werden, weil es einfach keine angenehmen Jobs sind“, argumentiert Kreissl. Seine Vision: „Wenn die Produktivitätsgewinne fair verteilt werden, könnte das zu kürzeren Arbeitszeiten bei gleichem Lohn führen.“ Diese Verteilungsfrage wird zentral sein für die gesellschaftliche Akzeptanz der KI-Revolution. Die Arbeitsbedingungen könnten sich durch KI also insgesamt verbessern. Die wohl größte Herausforderung besteht jedoch darin, die Arbeitswelt zu transformieren. Wie diese Transformation aussehen kann, zeigt sich bereits in vielen Branchen: Bei Siemens unterstützt KI die Qualitätskontrolle in der Produktion, die Deutsche Bahn optimiert damit ihre Logistik, und selbst traditionelle Handwerksberufe nutzen KI-gestützte Planungswerkzeuge.
Je mehr wir uns an die KI anpassen, umso erfolgreicher wird sie.
Daniela Todorova, Area Learning Lead bei Microsoft Deutschland bestätigt diese Einschätzung gegenüber der Welt: „Eine gezielte Weiterbildung und Qualifizierung der Mitarbeitenden sind entscheidend, um das volle Potenzial von KI auszuschöpfen.“ Als Verantwortliche für die Entwicklung und Umsetzung gezielter KI-Weiterbildungs- und -Qualifizierungsprogramme fügt sie hinzu: „Denn nur mit der entsprechenden KI-Kompetenz können Unternehmen und ihre Mitarbeitenden die Chancen und Herausforderungen der KI-Ära meistern.“ Viele Unternehmen haben darauf bereits reagiert: Der Automobilzulieferer Bosch beispielsweise investiert massiv in die KI-Weiterbildung seiner Mitarbeiter.[/caption]
Deutschland zwischen Innovation und Skepsis
„Forschungsmäßig stehen wir gar nicht schlecht da, nur bei der Vermarktung und Verwertung hapert es“, analysiert Kreissl. Der internationale Vergleich zeigt die Herausforderungen: Während in den USA und China KI-Start-ups Milliarden einsammeln, tun sich deutsche Unternehmen mit der Kommerzialisierung schwer. Dennoch gibt es Erfolgsgeschichten: Das Heidelberger Unternehmen Aleph Alpha etwa hat mit seinem KI-Betriebssystem „PhariaAI“ eine europäische Alternative zu „ChatGPT“ entwickelt. Und auch Industrieunternehmen zeigen, wie KI ebenso hierzulande erfolgreich eingesetzt werden kann. Bei BMW in München optimieren KI-Systeme die Produktionslinien, Volkswagen entwickelt in Wolfsburg autonome Fahrzeuge, und Siemens treibt die digitale Transformation ganzer Fabriken voran „Die Kommerzialisierung findet in den USA statt. Aber wenn Sie sich die Forschungslandschaft und die Publikationen anschauen, ist Europa nicht so schlecht“, erklärt Kreissl.
Digitale Revolution im Werk: Siemens bringt künstliche Intelligenz in die Fabrikhallen und lässt sie unter anderem die Qualität der Produkte überwachen. © Foto Siemens
Gesellschaftlicher Wandel und soziale Herausforderungen
„Die Gefahr ist nicht, dass die KI intelligenter wird als wir, sondern dass wir uns eine Umwelt schaffen, in der wir von ihr abhängig sind“, warnt Kreissl. Diese Abhängigkeit zeigt sich bereits in vielen Lebensbereichen: vom KI-gestützten Navigationssystem im Auto bis zur automatischen Texterkennung im Smartphone. „Wenn die nächste Generation nicht mehr imstande ist, sich auf ihre eigenen soziokulturellen Fähigkeiten zu verlassen, sondern sich auf eine Maschine verlässt, dann haben Sie eine strukturelle Verblödung“, warnt Kreissl. Die zunehmende Abhängigkeit von KI-Systemen verändert bereits den Bildungsalltag. Während Studierende „ChatGPT“ für Hausarbeiten nutzen, setzen Schulen auf KI-gestützte Lernprogramme. Ein Beispiel dafür sind das mathematische Lernsystem „Bettermarks“ oder das adaptive Lernsystem „Area9“. Beide helfen bei der individuellen Lernunterstützung und Förderung.
Die Demokratiefrage
Gleichzeitig entwickelt sich die Manipulation der öffentlichen Meinung durch KI-generierte Inhalte zur wachsenden Herausforderung. „Gucken Sie sich das Gespräch zwischen Elon Musk und Alice Weidel auf X an. Ein Algorithmus wird geändert und schwupp, kriegt das Gespräch Follower bis zum geht nicht mehr“, beschreibt Kreissl die Gefahr der Manipulation sozialer Medien.
Die Verbreitung von Deepfakes und KI-generierten Falschinformationen stellt dabei nur die Spitze des Eisbergs dar. „Je mehr wir uns an die KI anpassen, umso erfolgreicher wird sie“, mahnt Kreissl. Diese Anpassung zeigt sich bereits in allen Wirtschaftsbereichen. Die Herausforderung liegt in der Balance zwischen technologischem Fortschritt und gesellschaftlichem Zusammenhalt. „Die KI ist weder künstlich noch intelligent“, resümiert Kreissl, „sondern sie braucht noch ganz viel menschlichen Input.“ Der entscheidende Punkt sei die Verteilung der Gewinne: „Wohin fließt der gesellschaftliche Reichtum, der dadurch erzeugt wird?“ Besonders der deutsche Mittelstand steht vor großen Umwälzungen. Während Konzerne wie Siemens oder BMW Millionen in KI-Entwicklung investieren können, fehlen kleineren Unternehmen oft die Ressourcen. Dennoch zeigen Beispiele wie der Werkzeughersteller Würth, dass auch mittelständische Unternehmen KI erfolgreich einsetzen können. Die Kunst wird darin bestehen, die Technologie so einzusetzen, dass sie uns unterstützt, ohne uns zu beherrschen. Oder wie es Kreissl formuliert: „Es war doch eigentlich von Anfang an so: Die Maschine soll uns helfen, weniger zu arbeiten, höhere Produktivität zu erzeugen.“ Nun liegt es an uns, dieses Versprechen einzulösen – nicht nur für einzelne Konzerne, sondern für die gesamte Gesellschaft.
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